Wie alles begann …

11-SabineMauz_RaSch06I18_180626-JK-68475Was ist ein Clown? Wie findet man seinen Clown? Inwiefern unterscheidet sich die clowneske Kunstfigur von der eigenen Privatperson?

Wer bislang mehr über Frau Mauz‘ clowneske Anfänge wissen wollte, musste sich durch Sabine Mauz‘ Erstlingsstückwerk: `Endlich rund` kämpfen. Nun gibt es die wichtigsten, anfänglichen (!) Kurzgeschichten und Sucherfahrungen aus rund um das Thema Clown in einer schnellen Aneinanderreihung als .pdf: Wie_alles_begann …

Wer Lust auf eine Selbsterfahrung in Sachen Clownerie hat, kann sich gerne zu einem Workshop im Figurentheaterkolleg in Bochum oder bei einem anderem Clownskurs seiner Wahl anmelden …

Und hier noch ein paar Eindrücke von Frau Mauz heute (Stand: 25.9.2018 bei der Rampenschweinerei in Fürth), aufgenommen von Jürgen Klieber:

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Best friends

So schön kann Freundschaft sein …

Der folgende Text ist Alex gewidmet, der Freundin aus meiner Geschichte – ebenfalls aus „Endlich rund …“ – … und natürlich all den Menschen, die von dem darin beschriebenen ‚Luxus‘ nur träumen können:

14.3.2010

Nacherzählung:

Auf der Fähre

Ich presste meine Augenlider zusammen und versuchte, meine Umgebung auszublenden; ich wollte die wacklige Holzbalkenkostruktion über mir nicht mehr sehen. Wie sollte die bloß halten? Auch die rund fünfzig fremden Menschen hier, in diesem Raum, sollten verschwinden.
Ich holte tief Luft, in der Hoffnung, mich dadurch entspannen zu können, aber mein Körper war auf Flucht eingestellt. Gerne hätte ich dem Drängen meiner Muskeln nachgegeben und wäre weggerannt, aber das ging nicht. Der Geruch nach Maschinenöl und der ratternde Schiffsmotor erinnerten mich daran.
Durch die hauchdünne Matratze unter mir spürte ich die Vibrationen der Maschinen und den leichten Wellengang. Hilfe, wo war ich hier nur gelandet? Wie war ich hier gelandet? Statt der ersehnten Müdigkeit tauchten die Erinnerungen an die letzten paar Stunden wieder auf:

Die lange Busfahrt quer durch Thailand, zusammen mit den drei Australiern und dem motzigen Briten, die gerade neben uns knisternd ihre letzte Tüte Chips verspeisten und mit einem nervtötenden, piependen Ding spielten. Ob die wohl auch was anderes aßen?
Auf der Fahrt hatte ich an einer der vielen einsamen, dunklen Raststätten einen Thaisnack gekauft, weil ich futterneidisch auf sie war. Ich hatte die Packung genommen, die am Schönsten aussah. Gut, vielleicht hätte ich an Hand der Form der Nahrung erahnen können, was mich beim Essen erwarten würde, aber bei uns schmecken die katzenförmigen Lakritz auch nicht nach Katze … – in Thailand hingegen ist die fischförmige Teigtasche tatsächlich mit gepresstem und getrocknetem Thunfisch gefüllt. Lecker! Alex wollte trotz meiner Warnung probieren und verzog angewidert das Gesicht, daraufhin lehnten die anderen unser Angebot ab. Der Fahrer wäre uns am liebsten um den Hals gefallen, als wir ihm die Tüte schenkten. Er bedankte sich mehrfach dafür.
Mir persönlich wäre es ja lieber gewesen, er hätte uns gesagt, wie lange die Fahrt noch dauern würde, aber dafür hätten wir ihm wahrscheinlich ein paar Scheine schenken müssen … Stattdessen machten wir alle paar Minuten Pausen, bis er auf einmal Gas gab und wie ein Irrer über die schmalen, kurvigen Straßen raste. Er hupte ständig, gab Lichtzeichen und bedrängte die anderen Autos. Angeblich waren wir zu spät dran. Als wir in Chumphon angekommen waren, hatten wir dann plötzlich wieder gaaaanz viel Zeit. Wir standen über eine halbe Stunde herum und warteten auf andere Fahrgäste. Da ärgerte ich mich noch und fragte mich, was das sollte. Der Frau mit den Tauchangeboten für Ko Tao hätte ich am liebsten ihre Prospekte um den Kopf geschlagen. Zu ihrem Glück saß ich ganz hinten im Bus!
Zur Beruhigung kauften Alex und ich uns etwas zu essen, als sie weg war: Endlich konnten wir den Klebereis mit Mango probieren, von dem uns schon so oft vorgeschwärmt worden war. Das süße Zeug machte mich so träge, dass ich danach alles nur noch wie durch Watte wahrnahm.

In diesem Zustand erreichten wir um elf Uhr abends die Anlegestelle der Fähre: Wir standen mitten in der Pampa, es gab nur ein paar Laternen, die den Weg zwischen Bus und Wasser beleuchteten. Unser Fahrer drückte uns die Tickets in die Hand und verschwand mitsamt des Busses. Wir hatten also gar keine andere Wahl, trotteten treudoof den anderen hinterher; überquerten einen großen Schutthaufen und mussten danach über eine ca. zwanzig Zentimeter schmale Holzplanke balancieren, die uns zu unserem jetzigen „Schlafgemach“ führte.
Ich war körperlich und mental so müde, dass ich nicht mehr reagieren konnte, also Alex vor mir plötzlich schwankte und beinahe in das dunkle, gluckernde Wasser unter uns fiel. Sie war mit ihrem Rucksack an dem ölverschmierten Ladekran hängen geblieben und konnte sich nur noch torkelnd und dank der rettenden Hand eines anderen an Bord halten …

Ein lauter Knall riss mich aus meinen Gedanken. Das knarzende Geräusch des Ventilators verstummte für einen Moment und wurde zu einem erbärmlichen Quietschen. Ich riss meine Augen auf, um zu sehen, was passiert war: Der Schwenkarm drehte sich noch ein paar Zentimeter weiter, bevor er wieder in der alten Position einrastete und zum gewohnten Ton zurückkehrte. Wütend trat der jähzornige Brite noch zweimal dagegen, bevor er sich geschlagen gab und den Stillstand akzeptierte. Ich kicherte.
Mein Blick fiel auf meinen Körper, den ich aus Ekel vor der verranzten Matratze und zum Schutz vor den hungrigen Moskitos in dem mitgebrachten Bettlaken eingewickelt hatte. Ich sah darin aus wie eine verpuppte Raupe. „Hihihihi“.
Die Alex-Larve neben mir drehte sich zu mir um und schaute mich fragend an. „Was ist?“
Ich lachte immer lauter, bekam kaum noch Luft, Tränen liefen über mein Gesicht. Meine Freundin starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an, als wäre ich verrückt geworden. „Was ist so komisch?!“
Mühsam rang ich nach Atem. Als ich das Gefühl hatte, wieder sprechen zu könnn, fragte ich: „Erinnerst du dich an das Beratungsgespräch im Reisebüro?“ – sie schüttelte den Kopf – „Weißt du noch, wie uns die Dame vor den klapprigen, altersschwachen Fähren gewarnt hat und wir großkotzig tönten: ’natürlich sehen wir uns die genau an, bevor wir damit fahren?!‘ – das haben wir ja wirklich gut hinbekommen…!“

 

Endlich rund: „Hermann“

Da seit gestern die überarbeitete Version von Endlich rund … wieder online und für jeden als einsehbar ist, gibt es heute den letzten Auszug daraus.

Wer mehr Interesse an Frau Mauz‚ Vorgeschichte hat, darf sich von nun an wieder alleine durch Sabine Mauz‘ chaotisches Leben von damals kämpfen – Denk-, Schreib- und Formfehler inklusive, versprochen …

14.1.2010

Fingerübung:

Hermann

Hermann öffnete die rechte Schublade seines Eichenschreibtischs, dabei strich er sanft mit seiner faltigen Hand über das dunkle Holz. – So etwas wurde Heutzutage nicht mehr hergestellt. Alles Handarbeit. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie sein Vater abends daran saß und schrieb:

Alles war finster in dem kleinen Arbeitszimmer, ein kleiner Lichtkegel beleuchtete das weiße Papier und den Füller in seiner Hand, aus dem er die feinen Buchstaben zauberte.

Hermann seufzte leise. Lang war es her, dass er dieses Kunstwerk zum Abitur vermacht bekommen hatte. In der Zwischenzeit war er selbst Großvater. Aber weder sein Sohn, noch dessen Kinder interessierten sich für den Schreibtisch. Er hatte sie mehrfach gefragt, ob sie ihn haben wollten, zuletzt vor wenigen Tagen. Damals war ihm bewusst geworden, dass er ihn nicht mit in das Zimmer im Altersheim nehmen konnte.

Seine Familie wollte nichts davon hören: Einen Schreibtisch könnten sie schon gebrauchen, aber nicht so ein schweres, breites Monstrum. Sie zeigten ihm ein neues Modell von IKEA in dem dicken Katalog. Das sei ein tolles Geschenk für den Jüngsten, hieß es.

Hermann fiel wieder ein, weshalb er die Schublade geöffnet hatte: Er wollte das Geld dafür aus seiner persönlichen Kasse holen. Er griff danach. Seine Finger fühlten glatt geschliffenes Holz und ein paar lose Zettel, mehr nicht. Sie tasteten weiter, wanderten nach rechts, tiefer ins Fach hinein, aber er fand nicht, was er suchte. Hermann zog die Schublade ganz auf und schaute nach: Nichts.
Ihm wurde schwindelig. Er musste sich setzen, hielt sich dabei krampfhaft am Schreibtisch fest: Das konnte nicht sein! Er wusste ganz genau, wo sich was befand. Seit Jahren steckte der Umschlag in dem alten Terminkalender von 1996. Er hatte ihn aufbewahrt, als er in Rente ging.

Hermanns Blick wanderte suchend durch den Raum und blieb an einem Umzugskarton hängen, auf einmal sah er die Szene von gestern wieder vor sich:
Sein Sohn saß auf dem Stuhl, auf dem er jetzt saß und half beim Aufräumen, besser gesagt, beim Ausräumen. Er selbst war müde und ruhte sich in dem alten Ohrensessel am anderen Ende des Raumes aus. Er hörte nur mit halben Ohr hin, als Jörg ihn fragte: „Kann das weg?“
Er hielt etwas Blaues in der Hand, Hermann konnte nicht genau erkennen, was es war: „Ist so ein olles Teil, längst abgelaufen. Damit fängst du sowieso nichts mehr an!“
Er hatte ihm geglaubt, war zu müde, um aufzustehen und nachzusehen. Es war in die Altpapierkiste gewandert, die sein Sohn später zum Container gefahren hatte. – Das konnte nicht wahr sein: Fünfzehntausend Euro! Nein, das durfte nicht sein! Ihm wurde schlecht, er sackte in sich zusammen.

Als ihn Jörg kurze Zeit später zum Essen abholen wollte, fand er Hermann brabbelnd und jammernd im Stuhl sitzen. Er verstand nicht, worum es ging. War froh, dass der Vater bald das Zimmer im Wohnheim beziehen konnte.

Endlich rund: „Die Taube“

Sie war schon mal online, als Teil von Frau Mauz‘ Programm. Da dieses hier nun nicht mehr einsehbar ist, gibt es wenigstens wieder die Geschichte aus Sabine Mauz‘ Erstlingswerk: Endlich rund …

April 2010

Die Taube

Mistvieh!“, „Abschaum!“, „Kusch!“, „Igitt!“, „Verschwinde!“ – ich habe viele Namen, die sich in ihrer Abscheulichkeit übertreffen, suchen Sie sich einen aus. Ich höre auf alle.

Es gibt Gerüchte, dass es irgendwann anders war: Besser, schöner. Damals bekamen wir noch Aufgaben von den Menschen und wurden von ihnen geschätzt, aber das ist lange her. Viel zu lange, als dass sich eine von uns daran erinnern könnte, jetzt wollen uns nur noch alle loswerden.

Neulich belauschte ich das Gespräch zweier Menschen. Ich tat so, als wäre ich auf Nahrungssuche, deshalb beachteten sie mich nicht. Ich weiß nicht mehr genau, worum es ging, aber das ist auch nicht wichtig. Das einzige, was für mich dabei zählte war ein Wort, das sie benutzten: Friedenstaube. Seit ich es gehört habe, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Es klingt wunderschön …

Seit ich fliegen kann, bin ich auf der Suche nach einer Aufgabe. Ich meine, eine richtige, nicht allein die, zu überleben. Diese nimmt zwar viel Zeit in Anspruch, aber erfüllen kann sie mich nicht. Was nützt es zu leben, wenn dieses keinen Sinn macht?! So sehe ich das jedenfalls. Die anderen Tauben, mit denen ich darüber gesprochen habe, schauten mich verständnislos an. Sie waren auf der Jagd nach dem leckersten Imbiss des Tages, weiter reichte ihre Planung nicht.
Wohlgemerkt: Die meisten, nicht alle. Es gab ein paar Ältere unserer Art, die sich meine Überlegungen aufmerksam anhörten. Sie blinkten mit den Augen, gurrten aufgeregt und nickten mit ihren Köpfen. Und ich freute mich, weil ich jemanden gefunden hatte, der mich verstand. Aber es endete immer gleich: Sie wollten von mir die Lösung des Problems. Wenn ich eingestand, dass ich sie nicht kannte, sanken sie in sich zusammen. Das einzige, was sie danach sagten war: „Viel Glück bei der Suche! Komm wieder, wenn du die Antwort kennst.“
Ich versprach es, weil es mir leid tat, sie so gebrochen zu sehen. Es war das einzige, was ich für sie tun konnte.

In den letzten Monaten hatte ich auch bei mir Anzeichen dafür bemerkt, dass ich die Hoffnung verlor. Ich wurde immer lustloser, futterte alles in mich hinein und suchte nur noch halbherzig.
Aber jetzt, da ich von der Friedenstaube gehört habe, verspüre ich neuen Mut. Ich weiß zwar nicht, was genau ihre Aufgabe ist, aber das werde ich herausfinden. Hauptsache, ich habe ein Ziel …

 

Endlich rund: „Wie ein weißes Blatt Papier“

Da Frau Mauz bald auf ihre NRW-Minitournee geht, wird heute hier der vorerst letzte Beitrag für die nächsten zwei Wochen veröffentlicht.

Ursprünglich sollte es eine Weihnachtsfliege werden, in der Hoffnung, dass sich dadurch eine neue, möglichst bezahlte Auftrittsmöglichkeit für Frau Mauz findet, aber Geld ist nicht alles, was zählt. Um genau zu sein, zählt es gar nichts. – Ich wünschte, wir müssten nicht davon leben …

Die folgende Geschichte stammt mal wieder aus dem unfertigen Buchkonzept „Endlich rund …„:

12.2.2010

Kurzgeschichte:

Wie ein weißes Blatt Papier

Mein Herz pochte. Ich schämte mich, weil ich nach Schweiß stank.
Ob er es auch roch? Das hätte den Vorteil, dass er von sich aus verschwinden würde …
Aber nein: Er saß mir strahlend und erwartungsvoll gegenüber. Seine Finger tanzten auf dem Tisch und machten Anstalten, zu meiner Hand zu wandern. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, sie wieder auf meiner Haut zu spüren.

Du hast es doch gemacht!“, platzte es aus mir heraus.

Was denn?“ Sein Lächeln wurde verkrampfter.

Du hast dich in mich verliebt!“

Das stimmt doch gar nicht!“ Er schaute auf seine Finger, die nun unruhig auf der Stelle trommelten.

Ach komm schon, ich merk es doch!“

Er schwieg. Dann schaute er auf, direkt in meine Augen. Das versetzte mir einen Stich:
Du hast Recht. Ich habe mich in dich verliebt. Na und? Du bist eine tolle Frau. Warum sollte ich mich nicht in dich verlieben? Gefühle kann man nicht steuern!“

Ich schluckte. Verdammt, woher kam bloß dieser Kloß in meiner Kehle? Ich nippte an meinem Kaffee:
Doch, das kann man, glaub mir! – Du hast dich in eine Idee verliebt, in ein Traumbild von mir, von uns. Das geht nur, wenn man es zulässt.“

Und was ist so schlimm daran? Du magst mich doch auch. Sonst wär das gestern nicht passiert.“

Es würde nicht gut gehen!“

Woher willst du das wissen?“

Weil es immer so läuft.“

Das stimmt doch nicht! Es gibt viele glückliche Paare. Partnerschaften, die ein Leben lang halten. Willst du aus Angst nie wieder eine Beziehung eingehen?“

Ich will zumindest jetzt keine. Nicht, solange ich keine Schutzfolie gefunden habe!“

Wie bitte? Was soll das denn sein?“

Das verstehst du nicht. Es hängt mit meiner Vorstellung von Liebe zusammen.“ Ich malte mit meinen Fingern Kreise auf die Tischdecke.

Dann erklär sie mir, noch einmal gehe ich sowieso nicht!“

Ich lächelte ihn traurig an: „Wart´s ab … : Nachdem Mark und ich getrennt waren fragte ich mich, weshalb es nicht geklappt hatte. Wir waren vernarrt ineinander. So kitschig es klingen mag: Ich konnte mir vorstellen, ihn zu heiraten. Aber irgendwann war aus unserer Liebe ein Machtkampf geworden, ein Ringen um Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Das, was am Anfang selbstverständlich war, das Wohl des anderen, wurde von den eigenen Bedürfnissen überdeckt. Ich dachte nur noch an mich selbst, an das was ich wollte und fühlte mich missachtet, wenn er es mir nicht gab. Ihm ging es mit mir wahrscheinlich genauso.
Irgendwann fand ich ein Bild, das unsere Beziehung, aber auch die vieler anderer wiedergibt:
Am Anfang, wenn man sich kennenlernt, beginnt man eine gemeinsame Reise. Alles ist neu und unbelastet, wie ein weißes Blatt Papier. Ihm gefällt an ihr das Lächeln, ihre Art sich zu bewegen, ihr herzliches Wesen. Und sie mag seinen Humor, seine lachenden Augen und die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkt.
Sie verlieben sich ineinander, färben das Papier gemeinsam ein, bemalen es mit Blümchen und Herzchen und all den Dingen, die ihnen aneinander gefallen. Weil sie sich kaum kennen und nicht gegenseitig verschrecken wollen, gehen sie ganz vorsichtig miteinander um. Sie stecken das Papier nach jedem Gebrauch in eine Schutzfolie, damit es nicht einreißt oder knickt.
Aber es ist unvermeidlich, dass man die Macken des anderen kennenlernt und es zu Missverständnissen kommt. Der Alltag hält Einzug und irgendwann wird es zu aufwändig, alles immer wieder in die Hülle zu stecken. Es beginnen die ersten kleinen Streitereien: Um die offene Packung Milch, die sie immer wieder in den Kühlschrank stellen muss. Um die Zeit, die er lieber mit Videospielen verbringt, statt mit ihr. Und ihn nerven ihre langweiligen Erzählungen von der Arbeit, die vielen Fragen und dass sie ständig in der Wohnung herumrennt und aufräumt.
Sie beginnen sich einander Vorwürfe zu machen und Dinge zu verschweigen. Sie keifen sich an, aber reden nie über das, was wirklich nicht stimmt. Über das, was sie wirklich gerne von dem anderen hätten.
Das bunte Papier bekommt Knicke und Risse. Man bügelt es immer wieder glatt und klebt kaputte Stellen, aber es bleiben Spuren zurück: Von Jahr zu Jahr werden es mehr Wunden und Vertrauensbrüche. Bis man an den Punkt kommt, wo es nicht mehr weiter geht. Dann steht man vor der Entscheidung: Entweder man reißt das Papier entzwei oder man versucht es mit einem Riesenpflaster zu versiegeln: Trennung oder Heirat. – Ich möchte beides nicht, zumindest nicht aus diesen Gründen.
Ich will einen Weg finden, das Papier dauerhaft zu schützen, aber ich weiß nicht wie. Ich will mich für mich allein und mit meinem Partner zusammen entwickeln. Ich will eine Beziehung, in der wir uns gegenseitig unterstützen und Mut machen. Es kann nicht sein, dass man auf Kosten des anderen Selbstbestätigung gewinnt!“

Ich war fertig, hatte all meinen Ängsten Luft gemacht. Meine Wangen glühten. – Was wollte ich damit erreichen? Wünschte ich mir, dass er ging oder dass er blieb? Wenn ich ehrlich zu mir war wollte ich, dass er mir meine Zweifel nahm. Wollte, dass er mir sagte, dass es zwischen uns nicht so laufen würde, dass das mit uns etwas ganz Besonderes sei …

Das kann ich dir nicht versprechen!“

Was?!“ Mein Herz plumpste auf den Boden.

Dass es bei uns anders wird!“

Ich versuchte meine Enttäuschung zu verstecken und warf energisch meine Haare zurück: „Wusst ich`s doch!“

Trotzdem gehe ich nicht. Wir müssen es probieren. Ich will mit dir kein einzelnes Blatt bemalen, sondern ein Buch füllen. Als ob bei dir eine Seite reichen würde!“

Er lächelte mich an: „Es gibt im Leben keine Sicherheit! Aber was ist eine Geschichte ohne Spannungsbogen?“
Er griff nach meiner Hand und löste meine verkrampften Finger von der Tischdecke, die ich komplett zerknüllt hatte:
Komm schon, sei mutig! Wir machen auf jeder Seite einen Vermerk, der uns daran erinnert, dass es die letzte werden könnte, wenn wir uns nicht anstrengen!“

Er schob meine Finger zwischen seine, dann stand er auf und zog mich zu sich. Widerstrebend folgte ich seiner stummen Aufforderung. Als ich bei ihm war, schlang er seine Arme um mich. Er strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und raunte mir „lass los!“ ins Ohr.
Ich holte tief Luft, legte meinen Kopf an seine Schulter und auf einmal flossen die Tränen …

Endlich rund: „Hilflos“

Beim Überarbeiten des Buches „Endlich rund …“ und auf der Suche nach einem passenden Text für den Auftritt beim Poetry Slam am 19.7.2015 in Düsseldorf, fand Frau Mauz eine Lehre des Lebens wieder, die aus ihrer Sicht nicht in Vergessenheit geraten sollte:

Es gibt Situationen, in denen man sein Bestes gibt und trotzdem scheitert …

14.2.2010

Hilflos

Ein lauter Knall erklang. Was war das? Was machte so viel Lärm? Ich stürmte die letzten Stufen der Kellertreppe nach oben. Und da lag er: Direkt vor der Türe, mit dem Kopf auf dem blauen Übertopf. Woran man sich im Nachhinein erinnert. Davor hatte ich dieses Ding nie beachtet, aber seit gestern hat sich die Farbe in mein Hirn gebrannt. – Und darauf sein Kopf: Die verwuschelten, weißen Haare, die braunen Augen, die noch kurz flackerten, bevor sie mich verließen und die Speichelblasen, die aus seinem Mund blubberten. Ich schrie ihn an: „Herr Schuster! Herr Schuster! Wachen Sie auf!“ Keine Reaktion. Hektisch zog ich das Telefon aus meiner Hosentasche: Wie war die Nummer vom Krankenwagen? Was musste ich sagen? Wie waren die W- Fragen? Hilfe!

Mit zitternden Fingern tippte ich. Es tutete zweimal, mehr passierte nicht. – Was hatte ich falsch gemacht? Ich wählte noch mal 112. Wieder nichts! Hieß es nicht, die seien immer erreichbar? Hilfe!!!

Konnte ich jemanden bitten, für mich anzurufen? Nein, ich war allein. – Ein Haus voller Menschen, aber keinem davon konnte ich diese Last aufbürden. Da fiel es mir ein: „0“ vorwählen, also noch ein Versuch. Endlich eine Stimme am anderen Ende. Ich nannte meinen Namen, die Adresse, beschrieb, was ich sah: Umgekippter Mann mit Speichelblasen, Kopf auf Topf, nicht ansprechbar. Während der Typ am anderen Ende stotternd nach dem Begriff „Epileptiker“ suchte, fuhr ich ihm über den Mund und erklärte ihm, dass so ein Leiden bei dem Betroffenen nicht bekannt sei. – Woher nahm ich nur die Wörter?

Während er mir mitteilte, dass er einen Wagen schicken würde, war ich schon wieder bei Herrn Schuster. Ich schüttelte ihn, schrie ihn an. Was konnte ich tun? Von der Türe wegziehen? Das ging nicht, er wog mindestens 150 kg. Und wieder: Warum war hier keiner, der mir helfen konnte? Warum ich?!

Der Topf musste weg, aber worauf sollte ich den Kopf dann lagern? – Kissen!

Im Türrahmen hinter mir stand Ute. Sie stand da, schaute, wisperte seinen Namen. Ich fragte sie nach einem Kissen, sie humpelte in ihr Zimmer. Ich hastete hinterher, sagte was von: „Musst du wahrscheinlich waschen“ und war wieder bei ihm. Ich schob die dämliche Pflanze weg und während sein schwerer Kopf, an der Glasscheibe der Türe nach unten rutschte, legte ich das Kissen darunter. Ich rüttelte wieder an ihm, rief seinen Namen. Susi kam die Treppe rauf, schlich an uns vorbei und stand dann still. Er wurde immer blauer. – Verlass mich nicht, tu mir das nicht an!

Oh mein Gott, wie sollte ich bei so viel Fett und in der verkrümmten Lage herausfinden, ob er atmete, einen Puls hatte?

Ich hob mein Ohr an seine Nase. Spürte nichts, hörte nichts, nur einen gurgelnden Laut aus seiner Kehle. Ich musste nichts fühlen; ich sah, dass sein Herz nicht arbeitete, dass er keinen Sauerstoff mehr im Körper hatte. Ich musste ihn wiederbeleben, aber wie? Konnte ich ihn doch bewegen? Definitiv nicht!

„Kann ich was machen?“ Susi stand immer noch da, aber sie konnte nichts tun. Sie war zu langsam, zu schwach, zu hilflos. Hilflos – das war ich auch: Wie bekam ich Luft in ihn rein? – Beatmen! Aber nicht am Mund, der war viel zu groß. Ich brauchte ein Tuch. Nicht, dass ich mir was einfing. Ich stürzte los, zu Ute ins Zimmer, die auf ihrem Bett saß.

„Hast du Taschentücher?“ Mein Blick hatte das Päckchen auf dem Tisch bereits erfasst, bevor sie meine Frage überhaupt verstanden hatte. Ich nahm es mit, rannte zurück, legte ein Tuch auf seine Nase und blies. Warum hatte ich nur das Gefühl, dass das alles nichts half? Der Sabber kam irgendwie doch in meinen Mund. Egal. Sein Gesicht wurde noch blauer. Wann kamen die endlich?! Aus reiner Verzweiflung versuchte ich, auf dem vielen Fett herumzudrücken, gab es aber direkt wieder auf. Ich hatte keinen Widerstand, keine Kraft, also blies ich wieder in seine Nase. Das Taschentuch war weg. Egal!

Es nutzte nichts, ich sah es. Aber es konnte, durfte nicht sein. „Herr Schuster!“ Meine Stimme überschlug sich. Ich fingerte in seinem Mund herum, auf der Suche nach Erbrochenem. Fand aber nur seine Zunge, die zwischen seinen Zähnen eingeklemmt war. Sie war total aufgeschwemmt. Ich zog und drückte, aber alles war starr.

Endlich erklang das „Tatütata“ in der Ferne. Wir mussten sie abfangen. Ich schickte Susi vor die Türe und unternahm einen letzten Versuch, ihn zu beatmen. Aus dem Augenwinkel sah ich Susi regungslos auf dem Gehweg stehen, hinter einem parkenden Auto versteckt. Das konnten die nicht sehen. Ich sprang auf, irgendwie über ihn und auf die Straße.

Sie hielten, es waren zwei Wagen. Ich erzählte was von „blau“, während sie ihre Geräte auspackten. In rasender Geschwindigkeit und dennoch Zeitlupentempo übernahmen sie.

Ich weiß nicht, wie Susi und ich vor ihnen ins Haus kamen. In Bruchstücken habe ich vor Augen, wie sie ihn zu Viert packten und in die Mitte des Flurs hievten, dann verschwand ich um die Ecke.

Ich ging in die Küche, spülte meinen Mund aus. Tigerte den Gang rauf und runter; bekam mit, wie sie auf ihm rumdrückten und einen Luftröhrenschnitt machten. Ich wusste, dass es nichts half, hoffte trotzdem.

Brigitte kam aus ihrem Zimmer, blieb stehen und fragte: „Der Schuster?!“ Ich nickte. „Ich schau nicht!“

„Besser ist das, geh auf dein Zimmer.“

Sie gehorchte, Susi im Schlepptau. Auch ich ging hinterher. Jetzt musste ich mich um die Lebenden kümmern. Ich fragte, ob alles okay sei. Sagte, wir könnten nur hoffen, beten, ihm unsere guten Gedanken schicken. Noch musste ich den Schein wahren, konnte dem Arzt das Urteil nicht vorwegnehmen. Ich drückte ihre Hände und ging zurück auf den Gang; musste schauen, wie weit sie waren.

Sie ließen sich Zeit. Ich wusste, was das bedeutete. Was konnte ich tun? Ich konnte nicht durch das Getümmel ins Büro gehen, also klickte ich mich durch das Telefon und schaute, ob die Nummer des Chefs gespeichert war. Ohne Erfolg. Ich rief in der Außenwohngruppe an und hinterließ meiner Kollegin eine Nachricht. Erzählte nicht, worum es ging, wollte nicht noch mehr Aufregung verbreiten.

Die nächste Bewohnerin kam aus ihrem Zimmer, ich schickte sie zurück: „Notfall, besser nicht schauen!“

Als ich zurückkam, packten die Rettungshelfer zusammen. Sie waren sehr langsam. Ich traute mich nicht, zu fragen. Sie bräuchten seinen Personalausweis. – Wo sollte ich den herbekommen? Hatte er wahrscheinlich bei sich, da er einkaufen war.

Sie wollten sein Zimmer sehen, damit sie ihn hinein legen konnten. – War er zu schwer für den Krankenwagen, das Krankenhausbett? Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, der letzte Hoffnungsfunke, bis es mir wieder einfiel: Man durfte keine Toten im Krankenwagen transportieren.

Und da kam schon die Bestätigung: Sie bräuchten den Originalausweis, um den Totenschein auszustellen. Während ich in den Keller rannte, um in der Akte danach zu suchen, zogen sie ihn auf dem Flurvorleger in sein Zimmer.

Endlich rund: „So nicht!“

Da Frau Mauz‘ erstes Buchprojekt „Endlich rund …“  momentan überarbeitet wird und deshalb hier zur Zeit nicht einsehbar ist, gibt es heute wenigstens eine kurze Geschichte daraus.
Es handelt sich dabei um eine Nacherzählung aus Sabine Mauz‘ früherem Leben und ist mal wieder ein wunderbares Beispiel für praktisch angewandte Gedankenfreiheit.
Wer genau mitliest, kann herausfinden, warum manche Menschen manchmal lieber schweigen …

24.4.2010

So nicht!

Und, was sagen dir deine Gefühle, um mal ganz direkt zu sein?! Was anderes bringt bei dir ja eh nichts.“

Ich seufzte: „Wirfst du mir das immer noch vor?“

Klar, das werd ich dir noch das ganze Jahr über vorwerfen. Damit hast du mich echt getroffen. Ich hatte mir so viel Mühe mit der Mail gegeben …“

Ich unterbrach ihn, bevor er weiter reden konnte: „Wenn wir uns noch so lange kennen.“

Oh, ach so.“ Er schluckte.

Ich konnte förmlich hören, wie es in seinem Kopf ratterte. Wieder zu direkt für ihn, also versuchte ich meine Worte abzuschwächen:
Ich meine ja nur: Wer weiß, was passiert. Ich mag dich, du bist nett. Wäre das anders, würde ich nicht mit dir telefonieren. Aber mehr kann ich dazu momentan nicht sagen.“

Er schwieg. Das war wieder nicht das, was er hören wollte. Ich war mir sicher, dass er bereits mehr Gefühle für mich hatte. Das „Ach-wie-süß“- Gesäusel eben am Telefon war Hinweis genug. Ich wusste, dass es nett gemeint war, aber er hatte mich damit verwirrt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte, also tat ich so, als hätte ich es nicht gehört.

Er räusperte sich: „Also: Was machst du am Wochenende?“

Stimmt, er war noch da. Ich rutschte tiefer unter meine Decke:
Am Freitag bin ich bei meiner Freundin Tabea eingeladen. Wir wollen kochen und endlich mal wieder in Ruhe reden. Wir versuchen seit Monaten, uns zu treffen. Und am Samstag helfe ich meiner Kollegin. Und du?“

Ich gehe morgen Abend wahrscheinlich das erste Mal zum DSA – Spielen. Du weißt schon, „Das Schwarze Auge“, von dem ich dir erzählt habe. Und dann …, am Samstag … weiß ich jetzt noch nicht, was ich dann mache. Am Sonntag bin ich zu guten Freunden eingeladen.“

Sollte das mit Samstag ein versteckter Vorwurf sein?“, seufzte ich.

Er zögerte: „Vielleicht? Ein kleiner?“

Ich hatte dir erzählt, welche Pläne ich habe. Und da das Wetter gut wird, bleibt es dabei.“

Na toll. Das heißt, bei Regen hättest du mich getroffen?!“

Nein, das heißt, dass wir im Garten arbeiten und dafür schönes Wetter sein muss. Ich habe meiner Kollegin schon vor Tagen zugesagt und ich stehe zu meinem Wort!“

Schon gut! Hätte dich halt gern getroffen, aber das geht auch noch nächstes Wochenende.“

Da muss ich arbeiten. Deshalb hatte ich überlegt, am Freitag zu dir zu fahren, denn da habe ich frei. Ich hatte mich schon fast dafür entschieden und wollte das nur noch mit dir abklären, aber dann kam die Einladung von Tabea dazwischen. Ich will sie unbedingt sehen, es geht ihr nicht so gut.“

Echt? Du willst zu mir kommen? Dann kann ich dir die Stadt zeigen: Die alten Gebäude, die Burgen, den Rhein, die Wälder,… Wusstest du, dass Koblenz früher eine Festung war?“

Ich hörte ihn sprechen, aber die Wörter flossen an meinem Ohr vorbei. Das Gespräch hatte mich ermüdet. Woran lag es?
Unser erstes Telefonat war so lebendig, so witzig. Wir redeten bis 3 Uhr nachts. Schon beim zweiten Mal war ich nach einer halben Stunde total fertig. Da hatte ich es noch auf den anstrengenden Tag geschoben, aber heute … – bis eben war ich fit, bis er mir jeden Film aus seiner DVD – Sammlung vorlas.
Hatte ich zu hohe Ansprüche? Man konnte nicht immer über das Leben philosophieren …

Hallo, bist du noch da?“

Oh, entschuldige. Ich bin auf einmal so müde. Ich glaube, ich muss für heute Schluss machen.“

Ok. Ich bekomme auch immer mehr Hunger.“

Dann mach du dir was zu essen und ich hau mich aufs Ohr.“

Schlaf gut und träum was Kuschliges.“

Ich fragte mich, ob das sein ernst war und sagte so neutral wie möglich: Danke, das werd ich.“

Das war neu, das habe ich dir noch nie gewünscht! Da muss ich mir bis zum nächsten Mal etwas anderes einfallen lassen.“ Seine Stimme überschlug sich fast vor Freude …

Hilfe, bitte nicht! Ich hatte es gerade so gut wie möglich ausgeblendet. Das wollte ich nicht: Ich wollte nicht mit so einem Mist beeindruckt werden!
Nein, er war noch nicht so weit. Schade, jetzt war es doch so gekommen, wie ich es in meiner Mail vorausgesagt hatte. Ich musste es so schnell wie möglich beenden, bevor es richtig anfing …

Ich wünsch dir ein schönes Wochenende. Mal schauen, wer von uns morgen als erster die Guten-Morgen-SMS schreibt.“

Ich bestimmt nicht! Aber auch das konnte ich nicht sagen. Also schwieg ich einen Moment und überlegte mir eine nettere Antwort:
Ich vermute du, da ich ausschlafen kann.“

Er seufzte: „Du hast es gut!“

Ja, deshalb schreib bitte nicht zu früh. Werde von SMS nämlich immer geweckt.“

Echt?! Nein, das geht mir nicht so. Das einzige, was mir passiert ist, dass ich das Vibrieren beim Posteingang mit meinem Wecker verwechsle. Und den drücke ich dann im Halbschlaf weiter …“

Haaallooo! Hatte ich nicht gerade versucht, das Gespräch zu beenden? Wie konnte man nur aus jedem Mist einen Vortrag machen!

Er schwieg, also noch einmal: „Du, ich muss jetzt echt ins Bett!“

Ok, dann bis bald.“

Ja, bis dann. Tschö.“

Tschüssi.“

Endlich Ruhe!

Nein, das mit uns konnte wirklich nichts werden. Das musste ich nur noch ihm begreiflich machen …

Morgen!

Endlich rund: Der gute Geist …

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da kam Sabine Mauz diese Idee für eine Geschichte in den Sinn. Eigentlich sollte sie länger werden, aber es blieb bei dem kurzen Auszug.
Eine Eintagsfliege also, die trotzdem immer wieder Spaß und Mut macht, zumindest der Autorin selbst.
Sie befindet sich in dem ersten echten Buchprojekt von Sabine Mauz: Endlich rund …

Der gute Geist

Wer ich bin?

Ich habe keinen festen Namen. Heiße so, wie mich die Menschen nennen wollen. Für manche bin ich ein Zeichen oder Schicksal, für andere ein Engel oder ein guter Geist und für manche bin ich nicht vorhanden – Humbug.

Was ich mache?

Ich ziehe durch die Welt, sehe in die Seelen der Menschen und helfe denen, die dafür bereit sind, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Ich kann in ihr Innerstes blicken, tiefer als diese selbst. Ich sehe ihre Sorgen und Ängste, aber auch ihre Sehnsüchte.

Bei manchen sind die Träume tief vergraben. Fast verschwunden unter einem Haufen Seelenmüll, der sich im Laufe ihres Lebens angesammelt hat. Sie sind kaum noch wahrnehmbar, wie das letzte Glimmen eines Feuers in der beinahe erloschenen Glut.

Ich bin der Windstoß, der alles wieder in Wallung bringt und das Feuer mit neuem Sauerstoff versorgt. Ich bin unerlässlich und zugleich ungemein gefährlich: Zu starker Wind kühlt aus oder erstickt.

So sehr ich mich bemühe, das richtige Maß zu finden, gelingt es mir nicht immer. Außerdem nutze ich nur dann etwas, wenn jemand da ist, der dem Feuer neue Nahrung gibt, sonst erlischt es endgültig.

Oft sehe ich Menschen, die nur noch eine leere Hülle sind, bei denen der letzte Funke verglüht ist. Bei diesen armen Wesen halte ich inne, betrachte sie traurig und setze danach meinen Weg fort. Sie tun mir leid, aber helfen kann ich ihnen nicht mehr. Sie haben den Windhauch zu oft ignoriert.

Wie ich aussehe?

Ich habe keinen festen Körper; nehme die Form an, die am besten verstanden wird: Mal bin ich ein Geistesblitz, ein Lied im Radio, ein nächtlicher Traum; mal ein Sonnenstrahl, der einen Gegenstand in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Ich bin in der Lage, Dinge und Menschen so zu lenken, dass sie aufeinander treffen, wenn sie einander brauchen. Bin dort, wo man mich braucht, wenn man mich braucht und zeige mich in der Form, wie man mich am besten verstehen kann.

Ich stecke auch in der Feder der Person, die dieses Buch geschrieben hat: Ich schickte ihr Ideen und Bilder für ihre Geschichten und gab ihr neue Kraft, als sie dabei war, ihren Traum aufzugeben. Auch machte ich sie mit den Menschen bekannt, die sie auf ihrem Weg begleiteten. Ich erhellte ihre Seele in Momenten des Zweifels und der Einsamkeit.

Natürlich habe ich nicht nur nette Seiten. Manchmal bin ich wie ein kleines Kind: Ich spiele gerne und schicke den Menschen Stolpersteine auf ihrem Weg, um ihren Mut und ihre Kreativität zu testen – wer weiß schon eine Gabe zu schätzen, wenn er den dafür nötigen Aufwand nicht kennt?

Ich verteile keine Geschenke, sondern Einzelteile, die der Empfänger, wie bei einem Puzzle, selbst ordnen und zusammenfügen muss. Und wenn ein Teil nicht passt, muss er den Mut aufbringen, es auszusortieren. Er kann es wegwerfen oder verschenken, das bleibt ihm überlassen.

Dieses Buch besteht aus Puzzleteilen, die von Menschenhand zusammengefügt wurden. Es ist zum Teil verwirrend, fehler- und lückenhaft.
Vielleicht reicht es trotzdem aus, um der einen oder anderen Person einen Anstoß zu geben, ihren Traum wieder in Angriff zu nehmen …

(Kurzgeschichte aus: Endlich rund …)

Endlich rund: „Der Schlüssel“ …

Der folgende Text ist circa 14 Jahre alt und stammt aus Sabine Mauz‘ erstem Werk: Endlich rund oder: Die Geburt eines Clowns. Es handelt sich dabei um eine Sammlung früherer Kurzgeschichten, aus der Zeit, als sie noch nicht eintagsfliegen hießen …

Der Schlüssel

Vor einigen Jahren wagte ein Freund ein Spiel mit mir. Es entstand aus der Übermütigkeit eines Betrunkenen heraus und endete in einer Ernsthaftigkeit, die er sich in dem Moment, in dem er es begann, mit Sicherheit nicht vorstellen konnte:

Wir waren in der Altstadt und feierten den Geburtstag eines gemeinsamen Freundes. Es war ein fröhlicher Abend. Wir tranken viel, blödelten herum und genossen die Zeit, die wir gemeinsam verbrachten. Irgendwann wurde es einem von uns zu langweilig. Er kam auf die Idee, mir einen Streich zu spielen und mir meinen Wohnungsschlüssel aus der Tasche zu klauen. Wie er mir später erklärte, wollte er mich endlich mal wütend erleben.

Ich merkte den ganzen Abend nicht, dass der Schlüssel weg war. Der nüchterne Fahrer gab mir zwar den Tipp, mal danach zu sehen, aber ich hörte ihm nicht zu. Selbst als mir der Dieb zum Abschied erklärte, er würde diese Nacht bei mir in der Wohnung schlafen, nahm ich ihn nicht ernst.

Erst als wir vor der Türe standen und mich der Fahrer fragte, ob ich meinen Schlüssel wieder habe und ich in meine Tasche schaute, wurde mir klar, dass er tatsächlich verschwunden war. Ich war schockiert: Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ein Freund ohne meine Erlaubnis in meine Wohnung eindringen würde. Ich fragte mich, was er dort machen, ob er meine Tagebücher lesen würde und war zutiefst enttäuscht darüber, dass er sich auf diese Weise mein Vertrauen erschlichen hatte.

Ich war so verstört von dieser Erkenntnis, dass ich nicht klingelte, sondern lieber mit in die Wohnung meines Fahrers fuhr und dort übernachtete. Am nächsten Morgen ging ich erst mal an die Uni, um meine Vorlesungen wahrzunehmen. Ich war total übermüdet, hatte weder Zähne geputzt, noch meine Klamotten gewechselt, aber die Kurse waren wichtig. Ich wollte sie nicht verpassen.

Im Laufe des Vormittages hakte ich per SMS bei dem Dieb nach und fragte, was mit meinem Schlüssel sei. Er antwortete mir, dass er arbeiten müsse, ich ihn aber gerne bei ihm abholen könne. Das war der Punkt, an dem ich wirklich wütend wurde. Ich verfluchte ihn für seine Dreistigkeit: Wie konnte er es wagen, mich nach dieser Aktion durch die halbe Stadt zu jagen, um mein Eigentum abzuholen?! Wäre er in dem Moment neben mir aufgetaucht, wäre ich ihm an die Gurgel gesprungen.

Sein Glück war, dass eine Stunde Straßenbahnfahrt und mehrere verzweifelte „Wo – bin – ich – hier – eigentlich?“ – Anrufe bei ihm zwischen uns lagen. Am Ende versuchte ich zwar noch, ihm böse zu sein, aber als er mich am Empfang seiner Firma abholte, konnte ich nur noch lachen: Sein dämliches, schuldbewusstes Gesicht sah einfach zu komisch aus …