Künstler sind … toll, wundervoll, schräg, nicht immer vernünftig, haben oft ein unglaublich schlechtes Zeitgefühl, können sich selbst schlecht strukturieren und mit Geld umgehen, fließen geistig gerne weit davon und flüchten aus der Welt, in der es ihnen gerade nicht gefällt.
Das gilt zumindest für viele Künstler, die von ihrer Kreativität nicht leben können.
Die Dame aus der 99. eintagsfliege gibt es tatsächlich. Sie war auch schon zu Gast bei Frau Mauz in der Wohnung, komponierte damals mitten in der Nacht neue Lieder und duschte – ebenfalls nachts – so lange, bis das Bad fast davon schwamm.
Natürlich wurde der Name verändert und natürlich handelt es sich bei der folgenden Geschichte um Frau Mauz‘ Interpretation ihres Verhaltens …
Igitt!
„Igitt! Igittigitt! Igittigittigitt!“, dichtete die so genannte Göttin Gabriele Grummel, als sie ihr Bad putzte.
Der Schimmel klebte überall: Zwischen den Fugen, an der Silikonisolierung am Wannenrand, am Duschvorhang, auf den Fliesen … Das war so was von eklig, das war … einfach nur Igitt!
Die zweiundfünfzigjährige Gabriele hatte schon mehrfach einen Handwerker kommen lassen, der die schwarzen Stellen entfernte und die Gummierung erneuerte, aber nachdem sie die unnötigen Kosten dafür schon drei Mal in einem Jahr aufgebracht hatte, wollte sie nun einen anderen Weg finden, den Schimmel loszuwerden.
Ein Freund hatte ihr mal erzählt, dass man Bäder gut lüften müsse, nachdem man darin geduscht hatte – „Am besten mit Hilfe einer Lüftung, die die Feuchtigkeit abzieht“, lautete sein Rat, als er ihre Klagen hörte.
Aber Gabriele besaß keine Lüftung und auch kein Geld, eine einzubauen. Mal ganz abgesehen davon, gehörte ihr die Wohnung nicht und alle baulichen Veränderungen musste sie vorher mit dem Vermieter absprechen. Den wollte die Frau Göttin aber nicht in ihr Problem einweihen, denn sonst würde er ihr sicher einen Strick daraus drehen …
Herr Schimanski hatte Gabriele Grummel schon öfters vorgeschlagen, sich einen andere Wohnung zu suchen: „Eine, in der Sie ungestört proben können. Ich habe schon von den Nachbarn gehört, wie kreativ Sie mitten in der Nacht werden. Das ist natürlich schwierig zwischen so vielen Allerweltsbürgern, denn die wollen dann schlafen. Damit macht man sich auf Dauer keine Freunde. Und wir wollen doch nicht, dass Sie eines Tages deshalb verklagt werden, oder?!“
Gabriele Grummel hatte die unterschwellige Drohung des alten Haudegen sehr wohl verstanden. Sie wusste, dass Herr Schimanski ein Geschäftsmann war und sie eines Tages vor der Türe setzen würde, sobald er genügend Mittel gegen sie in der Hand hielt.
Die Musik in der Nacht hatte Gabriele deshalb schon reduziert, obwohl sie es nicht immer sein lassen konnte. Manchmal überkam es sie einfach … Dann war sie nicht mehr die langweilige, vor sich hin lebende, alltägliche Gabriele Grummel, die zur Trommel griff und Texte dichtete, sondern die Göttin. Die Göttin war es auch, die auf die Bühne gehen und die Welt verändern wollte, nicht Gabriele!
Der Wandel vollzog sich fließend.
So wie jetzt, während sie das Igitt!-Bad putzte und sich aus diesem einen, kleinen Wort in ihrem Kopf nach und nach ein Rhythmus, eine singende, schwingende Melodie wurde, die so wundervoll schien, dass sie einfach auf die Bühne musste!
Davon würde sich Gabriele dann eines Tages vielleicht wirklich eine Wohnung leisten können, in der sie so arbeiten, duschen und leben konnte, wann sie es wollte. Die Göttin fand die Umstände hier nämlich vollkommen erniedrigend, deshalb ließ sie Gabriele Grummel auch immer wieder bei so dummen Arbeiten wie der jetzigen im Stich: Eine Göttin putzte nicht, eine Göttin tanzte, lachte und sang, wurde angehimmelt!
Du bist die Göttin der Musikerinnen, summte Garbrieles Geist und ließ den total ausgefransten Schwamm sinken.
„Ich kann das nicht: Putzen, nur fünf Minuten duschen, so tun, als wäre ich normal. Ich bin eine Künstlerin! Und wenn diese Künstlerin sich dreckig und missbraucht fühlt, muss sie einfach so lange unter dem Wasserstrahl stehen, bis dieses schreckliche Gefühl weg gewaschen ist!“
Wie auf Kommando begannen Gabrieles Hände, ihren Körper zu entkleiden. Sie öffneten die Knöpfe ihrer Jeans und ihrer Putzbluse, dann streiften sie diese von ihrer bleichen Haut und warfen sie in Richtung des Wäschekorbs, der unter dem Waschbecken bereit stand. Der Büstenhalter flog hinterher.
Zum Ausziehen der viel zu engen Hose musste Gabriele vom Rand der Duschwanne aufstehen und die starre Stoffschicht vorsichtig von ihrer empfindlichen Haut ziehen, dann flog sie zu den anderen Sachen. – Um die Wäsche würde sie sich morgen kümmern! – Nur noch raus aus dem sexy Schlüpfer, den ekligen Schwamm weit weg aus der Wanne; ab in das Reich der Göttin, den Wasserhahn aufdrehen …
Als die heißen, feuchten Tropfen ihren Körper berührten, zuckte Gabriele kurz zusammen, dann schloss sie erleichtert ihre Augen und stellte sich vor, wie das Wasser alle schrecklichen Gedanken davon schwemmte: Der Schimmel, das Gefühl von Ekel, der Spott ihres Freundes Siegfried, der Auftritt am gestrigen Abend, die Wut über die nicht bezahlte Gage, die Angst vor dem nächsten, viel zu kurzen und teuren Monat – all das verschwand, während die Göttin unter der Dusche stand …
