So schön kann Freundschaft sein …
Der folgende Text ist Alex gewidmet, der Freundin aus meiner Geschichte – ebenfalls aus „Endlich rund …“ – … und natürlich all den Menschen, die von dem darin beschriebenen ‚Luxus‘ nur träumen können:
14.3.2010
Nacherzählung:
Auf der Fähre
Ich presste meine Augenlider zusammen und versuchte, meine Umgebung auszublenden; ich wollte die wacklige Holzbalkenkostruktion über mir nicht mehr sehen. Wie sollte die bloß halten? Auch die rund fünfzig fremden Menschen hier, in diesem Raum, sollten verschwinden.
Ich holte tief Luft, in der Hoffnung, mich dadurch entspannen zu können, aber mein Körper war auf Flucht eingestellt. Gerne hätte ich dem Drängen meiner Muskeln nachgegeben und wäre weggerannt, aber das ging nicht. Der Geruch nach Maschinenöl und der ratternde Schiffsmotor erinnerten mich daran.
Durch die hauchdünne Matratze unter mir spürte ich die Vibrationen der Maschinen und den leichten Wellengang. Hilfe, wo war ich hier nur gelandet? Wie war ich hier gelandet? Statt der ersehnten Müdigkeit tauchten die Erinnerungen an die letzten paar Stunden wieder auf:
Die lange Busfahrt quer durch Thailand, zusammen mit den drei Australiern und dem motzigen Briten, die gerade neben uns knisternd ihre letzte Tüte Chips verspeisten und mit einem nervtötenden, piependen Ding spielten. Ob die wohl auch was anderes aßen?
Auf der Fahrt hatte ich an einer der vielen einsamen, dunklen Raststätten einen Thaisnack gekauft, weil ich futterneidisch auf sie war. Ich hatte die Packung genommen, die am Schönsten aussah. Gut, vielleicht hätte ich an Hand der Form der Nahrung erahnen können, was mich beim Essen erwarten würde, aber bei uns schmecken die katzenförmigen Lakritz auch nicht nach Katze … – in Thailand hingegen ist die fischförmige Teigtasche tatsächlich mit gepresstem und getrocknetem Thunfisch gefüllt. Lecker! Alex wollte trotz meiner Warnung probieren und verzog angewidert das Gesicht, daraufhin lehnten die anderen unser Angebot ab. Der Fahrer wäre uns am liebsten um den Hals gefallen, als wir ihm die Tüte schenkten. Er bedankte sich mehrfach dafür.
Mir persönlich wäre es ja lieber gewesen, er hätte uns gesagt, wie lange die Fahrt noch dauern würde, aber dafür hätten wir ihm wahrscheinlich ein paar Scheine schenken müssen … Stattdessen machten wir alle paar Minuten Pausen, bis er auf einmal Gas gab und wie ein Irrer über die schmalen, kurvigen Straßen raste. Er hupte ständig, gab Lichtzeichen und bedrängte die anderen Autos. Angeblich waren wir zu spät dran. Als wir in Chumphon angekommen waren, hatten wir dann plötzlich wieder gaaaanz viel Zeit. Wir standen über eine halbe Stunde herum und warteten auf andere Fahrgäste. Da ärgerte ich mich noch und fragte mich, was das sollte. Der Frau mit den Tauchangeboten für Ko Tao hätte ich am liebsten ihre Prospekte um den Kopf geschlagen. Zu ihrem Glück saß ich ganz hinten im Bus!
Zur Beruhigung kauften Alex und ich uns etwas zu essen, als sie weg war: Endlich konnten wir den Klebereis mit Mango probieren, von dem uns schon so oft vorgeschwärmt worden war. Das süße Zeug machte mich so träge, dass ich danach alles nur noch wie durch Watte wahrnahm.
In diesem Zustand erreichten wir um elf Uhr abends die Anlegestelle der Fähre: Wir standen mitten in der Pampa, es gab nur ein paar Laternen, die den Weg zwischen Bus und Wasser beleuchteten. Unser Fahrer drückte uns die Tickets in die Hand und verschwand mitsamt des Busses. Wir hatten also gar keine andere Wahl, trotteten treudoof den anderen hinterher; überquerten einen großen Schutthaufen und mussten danach über eine ca. zwanzig Zentimeter schmale Holzplanke balancieren, die uns zu unserem jetzigen „Schlafgemach“ führte.
Ich war körperlich und mental so müde, dass ich nicht mehr reagieren konnte, also Alex vor mir plötzlich schwankte und beinahe in das dunkle, gluckernde Wasser unter uns fiel. Sie war mit ihrem Rucksack an dem ölverschmierten Ladekran hängen geblieben und konnte sich nur noch torkelnd und dank der rettenden Hand eines anderen an Bord halten …
Ein lauter Knall riss mich aus meinen Gedanken. Das knarzende Geräusch des Ventilators verstummte für einen Moment und wurde zu einem erbärmlichen Quietschen. Ich riss meine Augen auf, um zu sehen, was passiert war: Der Schwenkarm drehte sich noch ein paar Zentimeter weiter, bevor er wieder in der alten Position einrastete und zum gewohnten Ton zurückkehrte. Wütend trat der jähzornige Brite noch zweimal dagegen, bevor er sich geschlagen gab und den Stillstand akzeptierte. Ich kicherte.
Mein Blick fiel auf meinen Körper, den ich aus Ekel vor der verranzten Matratze und zum Schutz vor den hungrigen Moskitos in dem mitgebrachten Bettlaken eingewickelt hatte. Ich sah darin aus wie eine verpuppte Raupe. „Hihihihi“.
Die Alex-Larve neben mir drehte sich zu mir um und schaute mich fragend an. „Was ist?“
Ich lachte immer lauter, bekam kaum noch Luft, Tränen liefen über mein Gesicht. Meine Freundin starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an, als wäre ich verrückt geworden. „Was ist so komisch?!“
Mühsam rang ich nach Atem. Als ich das Gefühl hatte, wieder sprechen zu könnn, fragte ich: „Erinnerst du dich an das Beratungsgespräch im Reisebüro?“ – sie schüttelte den Kopf – „Weißt du noch, wie uns die Dame vor den klapprigen, altersschwachen Fähren gewarnt hat und wir großkotzig tönten: ’natürlich sehen wir uns die genau an, bevor wir damit fahren?!‘ – das haben wir ja wirklich gut hinbekommen…!“